Bettina*, 53, Amitriptylin

Die Aussicht, den Rest meines Lebens als asexuelles Wesen zubringen zu müssen, stimmt mich sehr traurig


 >> Read this story in English.

Seit meinem 20. Lebensjahr bin ich mit meinem Partner zusammen, den ich mit 28 auch heiratete. Wir hatten stets eine sehr erfüllte Beziehung, gerade auch in sexueller Hinsicht, denn Sex war für uns immer etwas Genussvolles. Auch war ich insgesamt immer ein sehr aktiver Mensch.

Da ich an Rheuma erkrankte, bremsten mich jedoch meine Schmerzen mit den Jahren mehr und mehr aus. Anfang der 2000er Jahre häuften sich die Beschwerden, sodass ich mich in die Hände des internistischen Rheumatologen gab. Damals litt ich unter verschiedenen und teilweise belastungsabhängigen Schmerzen und Schlafstörungen.

Der Arzt diagnostizierte ein „nicht entzündliches, nicht degeneratives Weichteilrheuma“. Ausdrücklich verneinte er eine Fibromyalgie, da ich die dabei häufigen depressiven Symptome und Beschwerden nicht aufweisen würde. Er führte meine Beschwerden auf eine zu niedrige Schmerzschwelle zurück, die er meinte durch das Medikament Amitriptylin auf Normalmaß anheben zu können, sodass ich also nicht mehr so schmerzempfindlich wäre.

"Diese Aussicht ließ mich in seinen Therapievorschlag einstimmen, nachdem er meine Bedenken bzgl. möglicher Nebenwirkungen ausräumte."

Er meinte, bei Amitriptylin handele es sich um ein bewährtes Mittel zur Schmerztherapie, abhängig würde man davon nicht, und die verwendete Dosis sei ja auch sehr gering. Als Nebenwirkung wäre hauptsächlich Müdigkeit zu nennen und daher wurde die Tageszeit, zu der man es darum idealerweise einnehmen sollte, angesprochen.

Etwaige weitere Nebenwirkungen im sexuellen Bereich oder Folgeschäden wurden nicht thematisiert. Ich nahm das Medikament von 2006 bis Frühjahr 2016 täglich ein. Zunächst in der Dosierung von 20 mg pro Tag, etwas später erhöht auf 25 mg, stets gegen Abend 1 Tablette.

Ich konnte wieder schmerzfrei schlafen, war etwas entspannter. Morgens war ich jedoch tatsächlich häufig sehr müde und hatte große Mühe, Auto zu fahren. Beim Geschlechtsverkehr konnte ich in den Folgejahren während der Einnahme durchaus noch erregt werden, wurde jedoch kurz nach dem Eindringen meines Mannes wund. Ich konnte keinen Genuss mehr empfinden. Zu einem Orgasmus kam ich nicht mehr.

Wenn mein Mann versuchte, mich zu erregen, ohne in mich einzudringen, konnte ich auch dies kaum tolerieren, da ich Schmerzen bekam, es sehr unangenehm war. Ich wurde auch dabei schnell wund, was jeweils über einige Tag mit Wundsalbe behandelt werden musste. Der Versuch, mit Scheidencreme beim Verkehr zu unterstützen, scheiterte. Aufgrund dessen hielt sich mein Mann zurück, verzichtete weitgehend darauf, Sex von mir zu fordern. Wenn wir es wieder versuchten, scheiterte es.

 2016 lernte ich eine neue Therapie für meine Grunderkrankung kennen, die ich im Frühjahr 2016 begann. In der Folge setzte ich das Schmerztherapeutikum Amitriptylin eigenständig ab, da die neue Therapie mein Befinden wesentlich verbesserte. Seit dem Absetzten von Amitriptylin bin ich gar nicht mehr erregbar. Die Klitoris ist gefühllos geworden, die gesamte Scheide ist nicht empfindlicher als irgendeine andere Stelle des Körpers.

"Es fühlt sich an, als ob die Nervenverbindung zwischen Kopf und Klitoris abgetrennt wurde. Das gesamte Areal ist völlig ohne Gefühl. Innerliche Berührungen empfinde ich nicht."

Nur Schmerzen an den äußeren Schamlippen und wunde Stellen sind unangenehm zu spüren. Ich bin überhaupt nicht mehr kitzelig - am ganzen Körper. Spüre Berührungen (Nähe) zwar, empfinde sie als angenehm. Bei unvorhergesehenen Berührungen erschrecke ich jedoch und bekomme Gänsehaut. Die Klitoris toleriert Berührungen nicht, es ist sehr unangenehm.

Zudem leide ich unter einem gefühllosen Orgasmus: Es fühlt sich an wie Muskelkontraktionen ohne Lustgefühl, die Befriedigung bleibt aus, obwohl eine körperliche Reaktion vorhanden ist, auf rhythmischen Druck im Unterleib.

Seit ich nicht mehr erregbar bin, läuft in unserem Schlafzimmer nichts mehr, das ist seit mindestens viereinhalb Jahren nun schon so. Es belastet unsere Ehe sehr. Wir sind uns deutlich weniger nah. Mein Mann vermeidet es, sich an meinem Anblick oder an Berührungen zu erregen, da es ja nicht zum Sex kommen kann. Er selbst mag nicht von mir erregt werden, da er es als egoistisch, unfair und schmutzig empfindet, sich selbst zu befriedigen, wenn ich garkeinen Genuss empfinden kann.

Auch der Versuch, mich selbst sexuell zu erregen/zu befriedigen, gelingt nicht mehr, was ich in meiner Jugend regelmäßig erfolgreich tat. Es ist sehr traurige für mich und es hat mich meinem Mann emotional entfremdet. Wir leben wie Bruder und Schwester zusammen.

Psychisch ist es belastend, diese frühere Nähe zu meinem Mann nicht mehr, vielleicht nie mehr haben zu können. Wir leiden beide darunter, selbst nach fast 25 Jahren Ehe. Es hat uns voneinander entfernt/entfremdet. Da es an mir, meinem Körper liegt, macht es mich oft sehr traurig, darin so hilflos zu sein, ohne Aussicht auf Besserung. Ein erheblicher Verlust an Lebens-/Liebesqualität. Ich bin mir sicher, dass diese Symptome nicht durch psychisches Ungleichgewicht o.ä. verursacht sind.

Ich habe von PSSD erst erfahren, als ich im ZDF einen Bericht über sexuelle Dysfunktion nach der Einnahme von Psychopharmaka gesehen habe. Ich fand mich in der Beschreibung in großen Teilen wieder und im Austausch mit anderen Betroffenen der PSSD Hilfe Deutschland e. V. bestätig und ermutigt, mich näher damit auseinanderzusetzten.

Als ich meiner neuen Gynäkologin (nach Umzug) und meinem Hausarzt von meinem Verdacht erzählte, wiegelten sie beide ab und gingen nicht weiter darauf ein. Ich fühlte mich darin nicht ernst genommen. Ich hoffe nun darauf, dass es durch die Aktivitäten des Vereins zu einem Umdenken in der Ärzteschaft sowie der Gesellschaft kommt.

Ich leide nun also in etwa seit Frühjahr 2016 unter PSSD-Symptomen. Mittlerweile somit seit fünf Jahren. Die zehn Jahre sexueller Einschränkungen während der Einnahme, verschärfen die Thematik zusätzlich. Die Aussicht jedoch PSSD evtl. nie wieder loszuwerden und den Rest meines Lebens als asexuelles Wesen zubringen zu müssen, stimmt mich sehr traurig. Denn mein Mann und ich hatten früher ein sehr erfülltes Sexualleben.

Ich denke, dass meine Situation und die der anderen Betroffenen sich bessern würde, wenn:

  • man als PSSD-Patient mit seinen Beschwerden ernst genommen würde, nicht nur in die Psychoecke geschoben würde.
  • PSSD als Medikamentenfolge ernst genommen würde und im Vorfeld deutlicher auf die Gefahr hingewiesen werden würde.
  • Ärzte, die Psychopharmaka verschreiben wollen, dies nicht mehr so leichtfertig tun, sondern andere Therapieansätze oder Medikamente in Erwägung ziehen würden.
  • Zur Wirkung der Mittel deutlich intensiver geforscht werden würde, PSSD in seinen Mechanismen erkannt und Behandlungsansätze entwickelt würden. Und als Folge daraus es keine neuen PSSD-Fälle mehr gäbe, PSSD-Betroffenen durch geeignete Therapien die erheblichen Beschwerden genommen würden und ihnen ihre verlorene Lebensqualität zurückgegeben werden könnte, sie Heilung erfahren würden.

* Name geändert
Share by: