Till*, 37, Duloxetin

Horrortrip durch Wunderpille


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Ich war Mitte 30 und auf meinem bisherigen absoluten körperlichen Höhepunkt. Um mich für meine Surftrips um die Welt fit zu halten, ging ich mehrmals die Woche zum Yoga, zum Bouldern oder machte einfach nur Kraft- und Ausdauersport. Ich fühlte mich nie stärker und unverwundbarer, als sich langsam aber sicher ein Schmerz auf meiner linken Rückenseite manifestierte. Ich klapperte alle möglichen Ärzte ab, aber niemand konnte die Ursache finden.


Nach ca. zwei Jahren mit dem Schmerz hatte ein Familienmitglied, das in USA als Arzt praktizierte, die Idee, mir ein Medikament zu geben, welches meine Nerven beruhigen sollte. Nachdem mir die Pillen dann verschrieben wurden und vor mir auf dem Tisch standen, hatte ich ein ungutes Gefühl. Das einzige, was auf der Dose Stand, war neben dem Namen des Medikaments „Cymbalta“ (Duloxetin) der Satz „May cause dizziness“."


"Ich griff also zum Hörer und erkundigte mich genau nach den Nebenwirkungen. Nach dem Gespräch war ich beruhigt - kein Grund zur Sorge. Ich vertraute blind, was sich als der schlimmste Fehler meines bisherigen Lebens herausstellte."

 
Ich begann mit der täglichen Einnahme. 1 Tablette, 30 mg Cymbalta. Ich konnte keine Verbesserung meiner Rückenschmerzen feststellen. Nach einigen Tagen/Wochen entwickelte ich eine starke Mundtrockenheit und hatte extreme Schwindelattacken. Besonders wenn ich große Räume betrat, bin ich fast rückwärts wieder rausgefallen. So fühlte es sich zumindest an. Dann war wieder alles „normal“.

Dann merkte ich von heute auf morgen, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich spürte meinen Penis nicht mehr. Ich konnte ihn weder fühlen, noch ihn auf und ab bewegen, indem ich meine Beckenbodenmuskulatur anspannte. Einen Tag später hatte ich ein Date mit einem Mädchen. Wir küssten uns und ich hatte extreme Lust auf Sex. Doch davon kam unten nichts an. Ich hatte weder eine Erektion, noch spürte ich etwas. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt fast dauererregt und hatte nicht ein einziges Mal in meinem Leben einen „Hänger“ gehabt.

Ich ging also sofort am nächsten Tag zum Urologen und schilderte ihm, dass ich das Gefühl habe, als sei mein Glied von meinem Körper und von meinem Kopf abgetrennt worden. Egal was ich mir nämlich vorstellte, es passierte nichts. Der Arzt sagte, ich habe zu viel Stress und solle mich entspannen. Er schrieb mir zwei Potenzmittel auf, welche ich jeden Tag über einen Monat nehmen sollte. Ich versuchte mich selbst zu beruhigen und nahm die Tabletten. Als ich aber Wochen später merkte, dass es nicht besser wird, begann meine Ärzte-Odyssee. Alle Urologen schickten mich wieder nach Hause und attestierten mir, dass das Problem psychisch sei.

In der Zwischenzeit konnte ich gar keinen Sex mehr haben, ohne vorher ein Potenzmittel genommen zu haben. Ich hatte gar keine nächtlichen oder spontanen Erektionen mehr und meine Libido war wie erloschen. Dann begann nach einigen Monaten mein Penis zu schrumpfen und er wurde Taub. Zuerst nur an der Unterseite, in der Zwischenzeit sind meine kompletten Genitalien taub. Nur wenn ich mit dem Fingernagel reinkneife spüre ich etwas.

"Keiner hatte eine Erklärung für das Taubheitsgefühl und ich wurde von Arzt zu Arzt gereicht. Von Multiple Sklerose bis zum Gehirntumor wurde ich auf alles getestet. Ohne Befund."

 
Mein Leben, wie ich es kannte, existiert nicht mehr: Sex und körperliche Nähe haben immer eine sehr wichtige Rolle in meinem Alltag gespielt. Davon konnte keine Rede mehr sein. Ich dachte weder an Sex, noch reagierte ich auf sexuelle Reize jeglicher Art. Es war so, als sei ich über Nacht kastriert worden. Auch kuscheln oder andere körperliche Nähe mochte ich auf einmal gar nicht mehr. Als sei das alles noch nicht belastend genug gewesen, litt ich seit mehreren Wochen an starken Konzentrationsproblemen, die es mir fast unmöglich machten einen klaren Gedanken zu fassen und meinen Job auszuüben. Und auch abends schaffte ich es seit Wochen nicht mehr einen Film anzuschauen, ohne total erschöpft einzuschlafen.

Ich ging das ganze Jahr nochmal von hinten bis vorne durch. Was war mir widerfahren, was diese Krankheit hätte auslösen können? Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Diese Rückenschmerzen-Tabletten - ich hatte diese ca. zeitgleich zu den Symptomen angefangen zu nehmen. Aber ich hatte die Tabletten schon nach ca. 10 Wochen abgesetzt, da Sie außer Nebenwirkungen keinen Effekt hatten.

Ich gab also „Erektionsprobleme Cymbalta“ bei google ein und wurde nach kurzer Recherche fündig: PSSD. Post SSRI Sexual Dysfunktion. Ich habe anscheinend die ganze Zeit ein Antidepressiva genommen, ohne es zu wissen. Die Berichte darüber deckten sich 1:1 mit dem, was ich erfahren habe. Erektile Dysfunktion, fehlende Libido, gelähmte Genitalien, Brain Fog (die Konzentrationsschwächen) und emotionale Abgestumpftheit… Das Schlimmste an allem ist, dass diese Krankheit anscheinend weder heilbar ist, noch dass sie überhaupt offiziell richtig anerkannt und dazu geforscht wird. Nur einige wenige Forscher nehmen das Problem und die Menschen ernst und versuchen mehr über die Krankheit zu erfahren.

Ich lebe nun 1,5 Jahre mit PSSD. Von dem durchtrainierten, überall beliebten, Sportler ist leider nicht mehr viel übrig. Wenn man mir vorher diese Horror-Geschichte erzählt hätte. Ich hätte sie nicht geglaubt. Zu krass sind diese Symptome: Meine Testosteron-Werte sind in der Zwischenzeit unter den Normbereich gesunken, meine Muskeln wurden durch Fett ersetzt. Mein Penis und meine Hoden sind signifikant geschrumpft - das Spermavolumen ebenfalls. Ich fühle mich kraftlos. Körperlich und geistig. Die fehlende Libido und die starke ED machen es wirklich sehr schwer, eine Beziehung zu führen, oder überhaupt führen zu wollen. Mein Ziel, eine eigene Familie zu gründen ist in sehr weite Ferne gerückt. Soziale Kontakte sind mir fast gleichgültig geworden.

Ich fühle mich nicht mehr als Teil dieser Gesellschaft, da ich bei allem, was mit Sex zu tun hat, nicht mehr mitreden kann und will. Ich habe oft gehofft, dass alles nur ein schlechter Traum ist und ich bald aufwache, doch bisher vergebens. Die einzige Hoffnung, die noch bleibt, ist, dass die Forschung herausfindet, was bei uns passiert ist und was zu diesen extremen Symptomen geführt hat. Erst dann kann vielleicht ein Heilmittel gefunden werden, was unser Leben wieder lebenswert macht.

Bis dahin versuche ich trotz der Symptome meinen Job zu behalten, was mir sehr schwerfällt und mich von Tag zu Tag zu hangeln.

* Name geändert

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