>> Read this story in English.
Sexualität hat für mich mehr bedeutet als für die meisten, eigentlich sogar alle anderen Menschen in meinem Umfeld. Mit einer Ex-Freundin hatte zwischen zwei- und zwölfmal am Tag Sex. Dieser Zustand war nicht etwa eine Ausnahme oder lag nur am Anfang der Beziehung, sondern zog sich durch die ganze Beziehung. Egal mit welcher Frau ich in der Vergangenheit Sex hatte, hatte ich niemals irgendwelche Erektionsstörungen oder Taubheitsgefühle bzw. Libidoverlust.
Aufgrund meiner Behinderung Asperger-Syndrom hatte/habe ich mit sozialen Situationen Probleme. So auch mit den Situationen im Bereich Flirten/sexuelle Kontaktaufnahme. Aufgrund meines damals starken Sexualtriebs und der viel zu geringen Anzahl an Sexualkontakten entstanden depressive Zustände und ich suchte Hilfe bei Psychologen. Statt eines notwendigen Sozialtrainings zum Erlernen von Kompetenzen im Umgang mit Flirtsituationen wurde ich einfach mit Medikamenten vollgestopft.
Meine Bemühungen danach, verstanden zu werden und mitzuteilen, dass ich eine andere Therapie als nur mit Medikamenten bräuchte, wurden oftmals lapidar dementiert, sodass ich im Laufe meines Lebens bestimmt 10 verschiedene Antidepressiva ausprobierte, von denen ich viele wegen der sexuellen und anderweitigen Nebenwirkungen nach kurzer Zeit absetzte.
In meinem Studium war ich ziemlich erfolgreich. Ich konnte mein Ingenieursstudium mit einem Schnitt von 1,4 als einer der erfolgreichsten Absolventen beenden. Nach meinem Kolloquium teilte mir der Professor mit, dass er sich sicher sei, dass ich auch im Masterstudium so gute Noten erhalten werde.
Nach dem Ende der Beziehung mit meiner damaligen Freundin rutschte ich aufgrund der unerfüllten Sexualität wieder in eine Depression. Ich suchte Hilfe in einer Klinik, welche sich auf den Umgang mit Autismus spezialisiert hat. Dort wurde mir jedoch wieder eine für meine Probleme sinnfreie Therapie angeboten, welche aus Gesichter puzzeln, Achtsamkeitsübungen und natürlich Tablettenkonsum bestand.
So nahm ich im November 2018 meine erste Dosis Trazodon und kurze Zeit später parallel Abilify. Während der Einnahme zeigten sich bekannte Funktionsstörungen in mäßigem Ausmaß (wie auch von anderen Präparaten gewohnt).
Nach einiger Zeit traten Angststörungen auf, woraufhin Abilify Anfang Januar 2019 auf Anraten des Arztes von jetzt auf gleich abgesetzt wurde. Auf meinen Wunsch hin wurde ca. 2 bis 3 Wochen später mit dem Absetzen von Trazodon begonnen.
"Nach kurzer Zeit stellte ich massive Erektionsstörungen fest."
In einem wöchentlich durchgeführten Selbstauskunftsbogen kreuzte ich kurz vor dem Absetzen von Trazodon „Frage 21 - Verlust an sexuellem Interesse“ noch mit „0 Mein Interesse an Sexualität hat sich in letzter Zeit nicht verändert“ an. Wenige Tag nach dem Absetzen von Trazodon kreuzte ich dieselbe Frage wie folgt an: "Frage 21 Verlust an sexuellem Interesse: „3 Ich habe das Interesse an Sexualität völlig verloren“.
Auch in den Wochen danach und bis zum heutigen Tag würde ich diese Antwort ankreuzen. In einem Date, welches kurz nach dem Ausschleichen von Trazodon stattfand, habe ich versucht, Sex zu haben und war nicht in der Lage, auch nur eine Regung meines Penis‘ zu erreichen. Es war, als würden alle sexuellen Reize einfach weggefiltert werden.
Vor PSSD brauchte ich nur durch die Fußgängerzone zu gehen und musste mich anstrengen, keine Erektion zu bekommen, wenn eine hübsche Frau mit enger Hose an mir vorbeilief.
In den folgenden Wochen zeigten sich immer mehr Symptome von PSSD (z.T. auch des Serotoninabsetzsyndroms). Nachtschweiß, Kopfschmerzen (schon während der Einnahme von Trazodon), Konzentrationsprobleme, gefühlte Intelligenzminderung, Bewusstseinsstörungen, Wahrnehmungsstörungen etc.
"Diese Symptome halten bis heute an. Sie sind so unerträglich, dass ich mein Masterstudium abbrechen musste"
und jetzt als Ingenieur arbeite, jedoch große Sorge habe, meinen Job zu verlieren, da ich einfachste Dinge nicht mehr hinbekomme (einfachste Subtraktionsaufgaben wie z.B. 103-7).
Ich hatte vor PSSD den Wunsch zu promovieren und gehörte zu den Jahrgangsbesten. Eine befreundete Professorin empfahl mir mehrfach die Promotion, weil sie mich für fachlich und persönlich kompetent erachtete.
In meiner jetzigen Situation würde ich jedoch nicht einmal ein Bachelorstudium schaffen. Ich versuche aktuell irgendwie durch den Tag zu kommen und meine starken Kopfschmerzen zu ertragen. Ich versuche eine möglichst gute/ausreichend gute Arbeit abzuliefern und hoffe, meine Probezeit zu überstehen, da mir andernfalls der finanzielle Ruin durch die nicht mehr mögliche Rückzahlung eines Studienkredits und Bafög droht.
Diese Tabletten haben mein Leben nicht besser gemacht, sondern es ruiniert. Ich hoffe, dass in Zukunft ein Heilmittel gegen PSSD gefunden wird und wir alle schnellstmöglich Hilfe bekommen.